Fachtagung beleuchtet Chancen und Hemmnisse sowie neue Erkenntnisse und Praxisansätze bei Wiederansiedlungen von Ackerwildkräutern
(28.11.2024) Was spricht für, was gegen Einsaaten selten gewordener Pflanzen der Äcker? Was erschwert die Umsetzung von Wiederansiedlungen zur Erhaltung dieser Arten und wo ergeben sich Herausforderungen bei der Zwischenvermehrung von Saatgut? Diese und viele weitere Fragen wurden auf der Tagung „Ackerwildkrautschutz durch Wiederansiedlungen“ am 26. November 2024 in Bonn diskutiert.
Das Interesse an der Tagung im Rahmen des Projektes „Lebensfelder – Praxisstandards zur Wiederansiedlung von Ackerwildkräutern“ war so groß, dass die Veranstaltung bereits in kurzer Zeit ausgebucht war. So begrüßten Thomas Muchow, Geschäftsführer der Stiftung Rheinische Kulturlandschaft, und Dominik Himmler, Geschäftsführer der Bayerischen KulturLandStiftung, im Gustav-Stresemann-Institut rund 115 Teilnehmende aus verschiedensten Bereichen.
Dazu zählten Vertreter:innen des Naturschutzes und der Landwirtschaft sowie von Fachbehörden, Forschungseinrichtungen und dem Hochschulsektor aus ganz Deutschland und den Nachbarländern.
Die große Nachfrage zeigt die hohe Aktualität und Relevanz der Fachbeiträge, die von den neun Referierenden aus Sicht der Forschung, der Praxis und der Behörden zum Themenkomplex „Ackerwildkrautschutz durch Wiederansiedlungen“ gehalten wurden. Dies spiegelte sich auch in der regen Diskussion der Vortragsinhalte wider.
Moderiert wurde die Tagung von Prof. Dr. Werner Wahmhoff, stellvertretender Vorstandsvorsitzender unserer Stiftung Rheinische Kulturlandschaft und selbst seit vielen Jahren im Ackerwildkrautschutz aktiv.
Mit einem Blick auf die besorgniserregende Gefährdungssituation von konkurrenzschwachen Ackerwildkräutern in Deutschland eröffnete Dr. Stefan Meyer, Georg-August Universität Göttingen, die Reihe der Fachvorträge und stellte dar, welche bedeutenden Chancen Wiederansiedlungen bei der Erhaltung und Förderung von Ackerwildkräutern zukommen könnten. Beispiele für erfolgreiche Reaktivierungen von Diasporenbanken ohne zusätzliche Einsaaten seien zwar bekannt. In vielen Fällen sei eine spontane Erholung der Bestände ohne Einsaaten jedoch nicht zu erwarten, da die Samenvorräte im Boden gerade bei langjähriger intensiver Bewirtschaftung oftmals erschöpft seien und Verbreitungsmöglichkeiten früherer Zeiten fehlten. Ein – an den jeweiligen Erhaltungsstandort angepasster – Mix aus Maßnahmen sei notwendig, um sowohl das Aussterben von Arten zu verhindern als auch Agrarökosystemfunktionen effektiv zu stützen.
Dr. Detlev Metzing stellte den rechtlichen Rahmen des typischen Dreischrittes aus Sammlung, Vermehrung und Wiederansiedlung von Ackerwildkräutern auf Bundesebene dar. Hierbei ging er auf die rechtliche Sondersituation von Ackerstandorten bei der Verwendung von gebietsheimischem Saatgut sowie die aktuellen Empfehlungen aus Sicht des behördlichen Naturschutzes ein. Je nach räumlicher Verbreitung der auszubringenden Arten sei zwischen lokalem, subregionalem und regionalem Saat- und Pflanzgut zu unterscheiden.
Typische Herausforderungen bei der Umsetzung von Wiederansiedlungsprojekten illustrierte Antje Lorenz, Stiftung Kulturlandschaft Sachsen-Anhalt, anhand von Beispielen aus ihrer Umsetzungspraxis in Sachsen-Anhalt. Als anspruchsvoll erweist sich nach ihrer Erfahrung die oft sehr aufwendige Suche nach rezenten Populationen und nach geeigneten Methoden zur Brechung der Keimhemmung. Vielfach in der Praxis zu beobachten sei die zu extensive Bewirtschaftung von Äckern für den Ackerwildkrautschutz, was das Aufkommen konkurrenzstarker Beikräuter fördert. Hier sei eine engmaschige Beratung der ausführenden Betriebe und Flächenbetreuer nötig. Abschließend sprach sich Antje Lorenz für die Formulierung möglichst pragmatischer Praxisstandards für die Sammlung, Vermehrung und Wiederansiedlung von Ackerwildkräutern aus, wie sie im Projekt „Lebensfelder“ angestrebt werden.
Bevor eine Wiederansiedlung durchgeführt werden kann, sind in der Regel Zwischenvermehrungen des gesammelten Saatgutes nötig. Welche Empfehlungen hierbei zu beachten sind, um unerwünschte Selektionseffekte zu minimieren, erläuterte Prof. Dr. Anna Lampei Bucharova, Universität Marburg, anhand aktueller Forschungsergebnisse. Im Fokus steht hier insbesondere die Generationenzahl bei der Vermehrung, die möglichst gering gehalten werden sollte. Die Forschungen an ausgewählten Wildpflanzenarten zeigten, dass es bei der Vermehrung zu geringen Veränderungen, etwa in der Pflanzengröße und im Blühzeitpunkt, kommen kann. Dennoch bleibe auch über mehrere Generationen die genetische Anpassungsfähigkeit sowie die Stressresistenz erhalten. Bei Einhaltung der aktuellen Regiosaatgutkonzepte könne eine hohe Qualität an Wildpflanzensaatgut erreicht werden.
Dr. Ann Kareen Mainz vom Verband deutscher Wildsamen- und Wildpflanzenproduzenten e.V. knüpfte hier an und ging auf die Möglichkeiten sowie die aktuellen Schwierigkeiten bei der Bereitstellung regiozertifizierten Saatgutes für seltene Ackerwildkräuter aus Sicht spezialisierter Betriebe zur Wildpflanzenvermehrung ein. Auf Ebene der 22 Saatgut-Ursprungsgebiete, in die Deutschland zur Produktion zertifizierten Regiosaatgutes eingeteilt ist, findet derzeit bei VWW-Betrieben nur eine Vermehrung weniger Ackerwildkrautarten in größerem Umfang statt, obgleich viele Arten als verhältnismäßig leicht vermehrbar gelten. Ein Grund hierfür ist die geringe Nachfrage nach Saatgut aufgrund der langwierigen Einzelfallprüfungen und der verhältnismäßig geringen Bepunktung bei Kompensationsmaßnahmen auf Äckern. Somit ist eine wirtschaftliche Vermehrung einer größeren Zahl von Ackerwildkrautarten außerhalb von Schutzprojekten unter den derzeitigen Bedingungen kaum umsetzbar.
Diskussionsgrundlagen zur räumlichen Ebene von Wiederansiedlungen speziell bei der Artengruppe der Ackerwildkräuter lieferte Dr. Erik Welk, Universität Halle-Wittenberg, indem er die historischen Verbreitungsgebiete ausgewählter Arten einer Analyse unterzog. Die historische Verbreitung wird im Fachdiskurs oft herangezogen, um mögliche Wiederansiedlungsräume einzelner Arten abzugrenzen und ist somit für die behördliche Zustimmung zu (Wieder-)Ansiedlungen von hoher Relevanz. Dr. Welk zeigte auf, dass Verbreitungsdaten sehr heterogen und unvollständig sind. Daher ist der Rückschluss auf historische Wuchsorte schwierig, insbesondere von Arten, die bisweilen nicht im Fokus der Botanik lagen. Grundsätzlich können historische Verbreitungsgebiete sehr gut modelliert werden und anhand von Umweltparametern Vorkommenswahrscheinlichkeiten von Ackerwildkrautarten ermittelt werden. Allerdings müssen die Modellierungsvariablen mit ökologischem Fachwissen überprüft werden.
Eine Kombination dieser Rekonstruktionsmodelle mit raumbezogenen genetischen Untersuchungen könnte neue Möglichkeiten zur art-/gruppenspezifischen oder generalisierten Abgrenzung von Wiederansiedlungsräumen für Ackerwildkräuter bieten. Die derzeit diesbezüglich durchgeführten Untersuchungen im Projekt „GISA – Genetische Informationen zum Schutz von Ackerwildkräutern“ stellte Prof. Dr. Karsten Wesche, Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz, vor. Das Projekt prüft anhand von Blattproben für 22 Ackerwildkrautarten verschiedener Gefährdungsstufen aus allen Regiosaatgut-Ursprungsgebieten, ob genetische Unterschiede in Abhängigkeit vom Sammelgebiet bestehen. Erste Ergebnisse zeigen geringe räumliche Differenzierungen bei der Kornblume (Centaurea cyanus), einer (noch) recht häufigen Art, während das Flammen-Adonisröschen (Adonis flammea) und das Rundblättrige Hasenohr (Bupleurum rotundifolium) als heute seltene Arten starke genetische Strukturierungen aufweisen. Ob diese Unterschiede sich auch in standörtlichen Anpassungen niederschlagen oder auf – durch Isolation der Kleinstpopulationen wahrscheinlicher werdenden – zufälligen Gendrifts beruhen, bleibt zu untersuchen. Ergebnisse zu zahlreichen weiteren Arten sind im Jahr 2025 zu erwarten.
Das Verbundprojekt „Lebensfelder – Praxisstandards zur Wiederansiedlung von Ackerwildkräutern“, das im Bundesprogramm Biologische Vielfalt gefördert wird, stellten Dr. Heiko Schmied, Stiftung Rheinische Kulturlandschaft, und Dr. Marion Rasp, Bayerische KulturLandStiftung, vor. Das Projekt beinhaltet die Erarbeitung von bundesweit anwendbaren Praxisstandards zur Sammlung, Vermehrung und Ansiedlung wertgebender Ackerwildkräuter gemeinsam mit Expertinnen und Experten sowie die modellhafte Umsetzung dieser Standards im Rheinland (NRW) und Bayern mit landwirtschaftlichen Betrieben. Maßnahmen zum Wissenstransfer und zur Akzeptanzbildung wie Tagungen, Feldtage und ein Praxishandbuch treten flankierend hinzu. Somit soll das Projekt einen grundlegenden Beitrag zur dauerhaften Erhaltung und Förderung einer vielfältigen Ackerwildkrautflora leisten.
Einigkeit bestand bei den Teilnehmenden darin, dass der Bedarf für wirksame Erhaltungsmaßnahmen gefährdeter Ackerwildkräuter groß ist, sofern der Verlust ertragsstabilisierender Ökosystemleistungen – von Bestäuberförderung über Erosionsschutz bis hin zur Unterdrückung von Problembeikräutern – vermieden werden soll.
Sobald die Tagungsbeiträge der Referent:innen vorliegen, informieren wir darüber in unserem Newsletter.
Das Projekt „Lebensfelder – Praxisstandards zur Wiederansiedlung von Ackerwildkräutern“ wird gefördert im Bundesprogramm Biologische Vielfalt durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz sowie durch die Landwirtschaftliche Rentenbank.
Diese Website gibt die Auffassung und Meinung des Zuwendungsempfängers des Bundesprogramms Biologische Vielfalt wieder und muss nicht mit der Auffassung des Zuwendungsgebers übereinstimmen.