Bericht zur Online-Fachtagung „Alte Sorten, alte Rassen: regionale Wertschöpfung, biologische Vielfalt und heimisches Kulturgut stärken“
(09.02.2022) Das nova-Institut und die Stiftung Rheinische Kulturlandschaft haben sich im Rahmen des Projektes „Wertschöpfung mit alten Sorten und alten Rassen – AgroBioNet“ intensiv mit den Erfolgsfaktoren von 21 Leuchtturmprojekten beschäftigt und praktische Empfehlungen zur Förderung alter Sorten und Rassen erarbeitet. Zum Projektabschluss fand am 01.12.2021 eine Online-Fachtagung statt. Hier wurde deutlich, dass das genetische und kulturelle Erbe, das alten Sorten und Rassen inne liegt, besonders erhaltenswert ist. Die ökonomisch tragfähige Nutzung leistet einen wichtigen Beitrag zu deren Erhaltung, ebenso wie innovative Akteur:innen die sich diesem speziellen Feld annehmen. Es besteht eine große Chance für Erzeuger:innen, Verarbeiter:innen und Einzelhandel, das Thema Regionalität weiter zu verfolgen und die Wertschöpfungsmöglichkeiten alter Sorten und Rassen zu nutzen.
Alte Nutzpflanzensorten und alte Nutztierrassen bilden ein wichtiges Element biologischer Vielfalt in Deutschland. Oft verfügen sie über attraktive Eigenschaften und eine beeindruckende regionale Historie. Sie bieten ein interessantes Feld für Produktinnovationen aus ländlichen Regionen. Erste Unternehmen verzeichnen Erfolge mit diesen Lebensmittelspezialitäten. Diese neue, traditionelle Vielfalt mit alten Sorten und alten Rassen verbindet Wertschöpfung und Beschäftigung in ländlichen Regionen mit Tradition, Geschichte und dem Erhalt biologischer Vielfalt. Leider sind viele der alten Sorten und Rassen fast verloren gegangen und finden sich heute in den Roten Listen der gefährdeten einheimischen Nutzpflanzen und Nutztierrassen wieder.
Das nova-Institut und die Stiftung Rheinische Kulturlandschaft haben sich im Rahmen des Projektes „Wertschöpfung mit alten Sorten und alten Rassen – AgroBioNet“ intensiv mit den Erfolgsfaktoren von 21 Leuchtturmprojekten beschäftigt und praktische Empfehlungen zur Förderung alter Sorten und Rassen erarbeitet. Zum Projektabschluss fand eine Online-Fachtagung statt, bei der Praktiker:innen aus den Bereichen Fleisch, Getreide, Obst und Wein sowie Vertreter:innen aus Politik, Wissenschaft, Handel und Verbänden die Chancen und Herausforderungen dieser Thematik beleuchteten. Unter der Moderation von Prof. Dr. Werner Wahmhoff, Vorstandsmitglied der Stiftung Rheinische Kulturlandschaft, verfolgten 120 Teilnehmende die Veranstaltung.
In seiner Begrüßung und Einführung in die Tagung stellte Olaf Schäfer, Unterabteilungsleiter Nachhaltigkeit, Nachwachsende Rohstoffe, Biodiversität im Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung (BMEL), die Wichtigkeit der biologischen Vielfalt im globalen Kontext heraus und verwies auf die Stichpunkte Klimawandel, Ökosystemleistungen und genetische Ressourcen. Er begrüßte die Förderung des Projektes AgroBioNet und hielt fest, dass die aktuelle Pandemiesituation die Verbraucher:innen zu einem Nachdenken über Versorgungssicherheiten und in diesem Zusammenhang der Bedeutung der Regionalität weiter anregt.
In ihrem Vortrag zum Thema „Sorten- und Rassenvielfalt – erhalten und nachhaltig nutzen“ gab Dr. Johanna Wider, stellvertretende Leiterin des Informations- und Koordinationszentrum für biologische Vielfalt (IBV) der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), einen Überblick zum breit aufgestellten Thema der nachhaltigen Nutzung und die Aufgabe des IBV. Dr. Wider hob hervor, wie bedeutend Nachahmer:innen bei der Förderung und Nutzung alter Sorten und alter Rassen sind und unterstrich die Chancen, die sich für den Erhalt der genetischen Ressourcen daraus ergeben. In den Roten Listen der Nutzpflanzen und Nutztiere schlummerten viele Potenziale, die durch Engagement und Zusammenarbeit geweckt werden könnten (Vortrag Dr. Johanna Wider).
Für Arno Todt, Abteilungsleiter Nachhaltige Regionalentwicklung – Biologische Vielfalt und Gesellschafter im nova Institut, und Thomas Muchow, Geschäftsführer Stiftung Rheinische Kulturlandschaft, bildete die Tagung den Abschluss des dreijährigen Projektes „AgroBioNet – Wertschöpfung mit alten Sorten und alten Rassen“. Arno Todt skizzierte die Inhalte und Zielsetzungen des Projektes und stellte anhand von vier Beispielen stellvertretend die 21 Leuchtturmprojekte aus den Bereichen Fleisch, Brot, Bier, Obst, Gemüse und Wein vor (Vortrag Arno Todt).
Für Thomas Muchow standen die im Projekt herausgearbeiteten Erfolgsfaktoren zur gelungenen Wertschöpfung mit alten Sorten und Rassen im Fokus seines Vortrages. Zusammengefasst stellte er sieben ineinandergreifende Faktoren vor. Als Basis und damit allen anderen Faktoren voran sind innovative und engagierte Unternehmer:innen, gefolgt von der Verfügbarkeit von Saatgut, Pflanzgut oder Tierrasse und vorhandenen Kompetenzen in der Handhabung und Produktion. Festzuhalten aus den Erfahrungen des Projektes bleibt, dass es viele individuelle Erfolgsformeln und nie nur einen Erfolgsfaktor gibt (Vortrag Thomas Muchow).
Praxisberichte AgroBioNet – Leuchtturmprojekte „Alte Sorten, alte Rassen“
Im zweiten Block der Tagung folgten Praxisberichte von vier AgroBioNet-Leuchtturmprojekten. So stellte Prof. em. Dr. Jan Sneyd, ehem. Hochschule Nürtingen, die Getreidesorte Schwäbischer Dickkopf- Landweizen vor, mit dem das Bäckerhauses Veit aus Bempflingen in Baden-Württemberg die Dickköpfle-Brotspezialität herstellt und vermarktet. Auf rund 7 ha Anbaufläche wird im integrierten Anbau die alte Landsorte angebaut, die bis 1950 das schwäbische Landschaftsbild prägte, aber dann durch ertragreichere Weizensorten verdrängt wurde und heute in der Roten Liste gefährdeter Nutzpflanzen gelistet ist (Vortrag Prof. em. Dr. Jan Sneyd).
Mit Dr. Katja Peter vom Ziegenhof Peter aus Thüringen, wurde am Beispiel der Thüringer Wald Ziege eine alte Haustierrasse vorgestellt, die mit ca. 1500 Herdbuchtieren in Deutschland vertreten ist und eine beliebte Rasse für die Weidehaltung und hofeigene Milchverarbeitung ist. Seit 1999 wird in der eigenen Hofkäserei die Milch der mittlerweile rund 100 Ziegen verarbeitet. Besonderes Augenmerk wird auf die Qualität der selbst hergestellten Produkte und die Verbraucher:innen-Kommunikation bei der Vermarktung gelegt. Weiterhin hob Dr. Peter die Zusammenarbeit mit dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) heraus und führte die betrieblichen Vorteile aus, zu denen folgende Punkte zählen: 1. Absatz sehr gut kalkulierbar, 2. Arbeitsorganisation in der Käserei, 3. gute Kundenbindung an das Produkt durch optimale Kundennähe und Öffnungszeiten (Vortrag Dr. Katja Peter).
Für den Bereich Obst stellte Lukas Küttner von der Berliner Streuobstwiesen Manufaktur GmbH die Marke OSTMOST und dessen Marketingkonzept vor. Seit 2014 sind die Getränke aus alten Streuobstsorten auf dem Markt und Ziel ist der Erhalt und die Förderung alter Streuobstsorten und -flächen. Beim Marketing wird u.a. Bekanntes mit Neuem verknüpft, z.B. „Streuobstwiesen, die kleinen Regenwälder Deutschlands“. Hier wird an die bekannte
Werbung eines Bierherstellers zum Erhalt der Regenwälder angeknüpft, um Verbraucher:innen etwas Neues näher zu bringen. Weiterhin wies Küttner auf die Bedeutung von Social Media hin, um zielgruppenspezifisch zu agieren (Vortrag Lukas Küttner).
Als viertes Leuchtturmprojekt stellte Prof. em. Dr. Ernst Rühl, ehem. Hochschule Geisenheim, den Roten Riesling, eine Ur-Riesling Spezialität der hessischen Bergstraße und im Rheingau, vor. Der Rote Riesling wurde bis ins 19. Jahrhundert angebaut und galt danach lange Zeit als verschollen. Oft als „Ur-Riesling“ bezeichnet, wird er in der Roten Liste der gefährdeten einheimischen Nutzpflanzen
geführt. Heute werden rund 40 Hektar dieser alten Rebsorte wieder angebaut. Prof. Rühl erläuterte, dass der Rote Riesling Winzer:innen neben der hohen Qualität im Geschmack weitere interessante Eigenschaften bietet, wie Robustheit. Die Trauben können bspw. wegen weniger Fäulnis rund eine Woche später geerntet werden als der weiße Riesling. Die Rebsorte wird daher auch als „Klima-Riesling“ bezeichnet. Für die Aromabildung und die geschmackliche Ausprägung hat diese spätere Lese positive Effekte (Vortrag Prof. em. Dr. Ernst Rühl).
Podiumsdiskussion
Welche Chancen bieten alte Sorten und alte Rassen landwirtschaftlichen Betrieben, Unternehmen und ländlichen Regionen und wie können bestehende Hindernisse überwunden werden? Diese Fragen wurden in einer Podiumsrunde diskutiert. Es wurde deutlich, dass sich regional bekannte alte Sorten und Rassen besonders gut für die Direktvermarktung eignen, wobei das Storytelling und Vermitteln des Mehrwerts der angebotenen Produkte als Basis einer gelungenen Vermarktungsstrategie essentiell seien. Von Vorteil sei auch, wenn man über Arbeitsteilung das nötige Know-how aus den verschiedenen Bereichen zusammenbringe. So liege der Schlüssel zum Erfolg im Zusammenwirken verschiedener Akteur:innen. Bei der Zucht und Vermehrung alter Rassen und Sorten über Biosphärenreservate gehe dies beispielsweise nur Hand in Hand mit einer aufgeschlossenen Verwaltungs- und Personalstruktur. Durch Kooperationen könne auch das Potenzial alter Sorten und Rassen für den Tourismus genutzt werden.
Es herrschte Konsens, dass eine sozio-ökonomische Struktur aus Mühlen, Bäckereien, Keltereien, Schlachtereien etc. essentiell für die Verarbeitung und Vermarktung gerade kleinerer Mengen sei. Leider seien diese Strukturen immer schwieriger zu finden und aufzubauen. Hinzu kämen Vorschriften, die mit den zu vermarktenden Kleinmengen oft nur schwer zu erfüllen seien. Hier sei neben einer finanziellen Förderung auch ein gesellschaftliches Umdenken nötig, um die Situation zu verbessern. Da es für Nischenprodukte bis dato keine eigenen Vorschriften gebe, führe die Anhebung von Standards in der Verarbeitung und Vermarktung dazu, dass kleinere Produktionen immer wieder mit zusätzlichen Herausforderungen konfrontiert seien. Seitens der Politik seien die Probleme erkannt. Darüber hinaus böten diese speziellen Märkte auch Chancen für die Landwirtschaft, da die Verbraucher:innen zunehmend die Qualitätsunterschiede zwischen Produkten erkennen und nachfragen würden. Die Bedeutung von Regionalität und Nachhaltigkeit verzeichne einen langfristigen Aufwärtstrend. Nischenprodukte jenseits der Massenware, zu denen auch alte Sorten und Rassen gehören, würden vermehrt nachgefragt. Für den Lebensmitteleinzelhandel ergebe sich mit der Vermarktung alter Sorten und Rassen die Chance, sich von anderen Unternehmen abzuheben. Letztendlich hänge es von der Bereitschaft der einzelnen Akteur:innen ab, sich für das Thema zu öffnen. Abschließend wurde darauf hingewiesen, dass die Vernetzung untereinander und auch passende Beratungsangebote wichtig für den Erfolg in der Nutzung alter Sorten und Rassen seien.
Hier geht es zum vollständigen Tagungsbericht.
Das Projekt „Wertschöpfung mit alten Sorten und alten Rassen – AgroBioNet“ wird im Rahmen des Bundesprogramms Ländliche Entwicklung durch die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung mit Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft gefördert.